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„Viele werden vielleicht mit Tränen in den Augen wandern“
Auch dem Pilger-Boom auf dem Jakobsweg hat die Pandemie ein Ende bereitet. Dabei hat gerade das Heilige Jakobusjahr begonnen. Für den Papst war das Anlass, mit einer historisch einzigartigen Verfügung einzuschreiten.
Stand: 27.01.2021 | Lesedauer: 9 Minuten
Von Andreas Drouve
Eigentlich sollte es ein Jubeljahr werden, ein finanzieller Springquell für Hotellerie und Gastronomie. Ein Freudenfest der internationalen Pilgergemeinschaft, die auf dem Jakobsweg in den Nordwestwinkel Spaniens nach Santiago de Compostela zieht.
Doch ein Virus feiert keine Glaubensparty. Die Corona-Krise dämpft die Erwartungen im Heiligen Jakobusjahr, das nun angelaufen ist und immer dann ansteht, wenn der Jakobustag am 25. Juli auf einen Sonntag fällt.
Bislang waren Heilige Jahre, wie zuletzt 2004 und 2010, mit großen PR-Offensiven verbunden, um die Besucherzahlen anzukurbeln: über Fernsehspots und Anzeigenkampagnen, über Aufdrucke auf Plastiktüten aus dem Supermarkt und Rollbandenwerbung in Fußballstadien. Doch wie geht es weiter mit der Pilgerbewegung, die ein Dauerrenner war und auch durch überfüllte Wege und Herbergen nicht aus der Bahn geworfen wurde?
Papst Franziskus verlängert das Heilige Jahr
Hinter dem Heiligen Jakobusjahr steht ein päpstliches Privileg aus dem Mittelalter. Per Bulle bestätigte Alexander III. 1179 das Heilige Jahr als immerwährendes Ereignis alle elf, sechs, fünf und wiederum sechs Jahre. Doch Corona bringt auch diese Tradition ins Wanken, sodass sich der amtierende Papst Franziskus zum Handeln veranlasst sah.
Überraschend verlängerte er das Heilige Jahr bis Ende 2022 – ein Novum in der Geschichte. Die Pilger bekommen dadurch mehr Zeit, von ihnen soll der Druck genommen werden, in unwägbaren Zeiten loszulaufen.
Die jetzige Lage wertet Enrique Valentín zwar als „desaströs“. Der Vorsitzende des Netzwerks privater Pilgerherbergen am Jakobsweg sieht aber auch „einen Lichtschimmer“ durch die Ende Dezember angelaufenen Impfungen. Obgleich er pleitegegangene Herbergsbetreiber kennt, seien die meisten „optimistisch, um von vorn anzufangen und die Pilger, die wir verloren haben, zurückzugewinnen.“ Doch so einfach ist das Ganze nicht.
Schon die Anreise nach Spanien ist ein Problem
Unverändert steht Spanien, wie viele Länder, auf der Liste der Risikogebiete. Unverändert gilt der landesweite Alarmzustand bis 9. Mai. Unverändert herrscht auch auf dem Jakobsweg die Maskenpflicht im Freien. Eine Zusatzhürde für Pilger aus dem Ausland ist die Anreise: Wer mit dem Flugzeug eintrifft, muss unter Androhung eines Bußgelds von 6000 Euro einen negativen, selbst finanzierten PCR-Test nachweisen.
Zudem ist der Jakobsweg durch regionale Abriegelungen derzeit faktisch gesperrt. Allein in der autonomen Gemeinschaft Kastilien und León, durch die fast 300 Kilometer Jakobsweg führen, ist kein Durchkommen.
Allerdings wäre wegen der ungünstigen Witterung derzeit ohnehin kaum jemand unterwegs. Der Faktor Zeit spielt dem Jakobsweg in die Karten, denn die eigentliche Pilgersaison beginnt Anfang April. Bis dahin könnten die Einschränkungen gelockert werden.
Problematisch ist, dass sich in den Herbergen viele Leute auf engem Raum in Gemeinschaftszimmern und Schlafsälen drängen – derzeit wegen der möglichen Ansteckungsgefahren ein abschreckendes Szenario. „Die Richtlinien besagen momentan, dass in den Herbergen die maximale Kapazität bei 50 Prozent liegt“, sagt Valentín. Die Atemschutzmasken dürfen die Gäste nur abnehmen, wenn sie essen, duschen oder schlafen.
Doch weder Valentín noch anderen kommt es in den Sinn, generelle Obergrenzen für das Pilgern zu fordern – Geschäft ist Geschäft. Und deshalb hofft der Gastro-Lobbyist am Jakobsweg, dass „vielleicht bis Ostern“ die erlaubte Gästezahl „wieder nah an die 100 Prozent“ rückt.
Quarantäne ist „ein No-Go“ für Pilger
Spanische Medien, die den Beginn Heiliger Jahre mit der zeremoniellen Öffnung der Heiligen Pforte der Kathedrale von Santiago de Compostela eigentlich hochleben lassen, üben sich ebenso in Zurückhaltung wie Veranstalter organisierter Pilgerreisen, zum Beispiel Hauser Reisen in Rottweil.
„Das erste Halbjahr wird ein ‚gefühltes 2020‘ – hier ist leider nicht mit viel Bewegung zu rechnen“, sagt Geschäftsführer Axel Keller. Erst für das zweite Halbjahr rechnet er mit einer Belebung des Geschäfts. Die für Ende Mai geplante Tour „Sagenhafter Jakobsweg“ wird mit verminderter Platzzahl zu höherem Preis angeboten, eine Kombination, die zum Standard werden könnte.
„Wenn die Personenzahl bei Gruppenreisen reduziert wird, ist dies zwangsläufig mit einer Preiserhöhung verbunden“, sagt Keller. Den verpflichtenden Nachweis eines höchstens 72 Stunden alten PCR-Tests bei Flugankünften in Spanien wertet der Reiseunternehmer als „große Hürde“. Er hofft, dass Antigentests in Zukunft ausreichen werden: „Damit ist aber natürlich auch eine verlässlichere Testquote erforderlich.“
Auch Rüdiger Tramsen vom Stuttgarter Veranstalter Biblische Reisen sieht Probleme in den derzeitigen Bestimmungen. Zeitliche Einschränkungen wie die 72-Stunden-Regel betrachtet er als „organisatorisch sehr problematisch“.
Er geht jedoch davon aus, dass mit einem steigenden Reisebedürfnis der Gäste im Heiligen Jakobusjahr deren Bereitschaft zunimmt, Einschränkungen in Kauf zu nehmen – bis auf eine: Quarantäneauflagen seien „ein No-Go“ für Pilger- und Studienreisen, ob auf dem gesamten Jakobsweg oder in Santiago de Compostela.
Während Biblische Reisen das Katalogangebot gegenüber den Vorjahren um etwa die Hälfte eingedampft hat und lediglich zwei Katalogreisen im Mai und Oktober anbietet, ist die Zahl der Termine bei Wikinger Reisen im westfälischen Hagen gleich geblieben.
Pressesprecherin Eva Machill-Linnenberg räumt ein, dass angekündigte Termine ab April allerdings etwas „optimistisch“ seien: „Wir werden die Daten natürlich an die Entwicklung anpassen, sobald das absehbar ist. Dabei setzen wir auf kulante Umbuchungen und kundenorientierte Einzelfallentscheidungen.“
Für Reisen außerhalb Deutschlands übernehme das Unternehmen derzeit die Kosten für eine Corona-Zusatzversicherung. „Diese Ergänzungspolice greift zum Beispiel bei Stornokosten, die durch einen positiven Covid-Test im Vorfeld entstehen.“
Bei Wikinger Reisen geht man davon aus, dass der Lockdown die Lust auf Bewegung verstärkt und damit die Nachfrage nach Wanderreisen. Skepsis oder gar Angst, solche organisierten Touren anzutreten, will auch Biblischen Reisen der Kundschaft nehmen.
Der Deutschen neue Lust aufs Wandern
Geschäftsführer Tramsen sagt: „Unsere Gruppen reisen mit einem Audiosystem namens ‚Quietvox‘, um Abstände einhalten zu können. Die Busse werden täglich desinfiziert und möglichst dünn belegt, das heißt: möglichst große Busse auch für kleine Gruppen.“
Ratlosigkeit in Santiago de Compostela
Allgemeine oder nachgeschärfte Hygieneregeln sind während der Pandemie wichtig, um Vertrauen zu gewinnen, im Speziellen als Reiseveranstalter. Dem gläubigen Wandervolk Mut machen will indes auch der Erzbischof von Santiago de Compostela, Julián Barrio. Sein Hirtenbrief soll unter dem Titel „Die Hoffnung, nach Santiago zu pilgern“ Zuspruch in schweren Zeiten geben.
Barrio setzt dabei voraus, dass sich Pilger tatsächlich in die Ferne trauen: „Viele von euch, die ihr nach Santiago kommt, werden vielleicht mit Tränen in den Augen wandern. Aber eure Schritte werden fest sein, wissend, dass Christus uns sagt: ‚Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben‘ (Joh 14,6, Anmerkung der Redaktion). Der Apostel Jakobus erwartet euch in diesem Heiligen Jahr, um euren Schmerz zu umarmen und von euch umarmt zu werden.“
Ob feste Schritte und Tränen wirklich helfen werden? Mit seinen Worthülsen befindet sich der Erzbischof allerdings in bester Gesellschaft spanischer Politiker. In Galicien, dessen Hauptstadt Santiago de Compostela ist, hatte Landeschef Alberto Núñez Feijóo unlängst eine „große Kampagne“ mit einem Etat von acht Millionen Euro angekündigt, um die Kunde vom Heiligen Jahr tiefer im öffentlichen Bewusstsein zu verankern und „den touristischen Sektor zu unterstützen“ – ohne ins Detail zu gehen.
Gänzlich verstummt ist ein galicisches Planungsteam, das das Heilige Jakobusjahr zum Event der Massen hochstilisieren wollte und vollmundig 8000 Veranstaltungen und Aktivitäten angekündigt hatte – allerdings vor der Corona-Pandemie. Nun herrschen Rat- und Ideenlosigkeit, auch virtuelle Initiativen sind Mangelware.
Herbergen am Jakobsweg geben sich optimistisch
Die Jakobusgesellschaften in Deutschland, die mit Rat und Tat und der Ausstellung von Pilgerausweisen helfen, befinden sich in einem Schwebezustand zwischen Hoffen, Bangen, Verunsicherung. Heino von Groote, der Vorsitzende des Freundeskreises der Jakobuspilger Paderborn, erwartet, dass sich im Heiligen Jahr nach und nach „viele Pilger auf den Weg machen werden“ – trotz der Einschränkungen.
Der Freundeskreis plant, die von ihm unterhaltene Pilgerherberge in der spanischen Partnerstadt Pamplona im Frühjahr wieder zu öffnen. „Die Freiwilligen stehen schon bereit und würden sich auf ihren Einsatz freuen“, glaubt von Groote. Allerdings müsse das Risiko gut abgewogen werden: „Keine Öffnung um jeden Preis.“ Diese müssten unter Einhaltung von Hygieneregeln auch verantwortbar sein.
Skeptisch sieht von Groote, dass manche Herbergen angesichts aller Unwägbarkeiten bereits konkrete Daten wie Anfang April für ihre Wiedereröffnungen nennen: „Da sollten wir uns mit unserem Optimismus nicht überbieten wollen.“
Das Heilige Jakobusjahr, das im Ursprung auf die innere Erneuerung der Gläubigen abzielt, könnte gleichzeitig der Beginn einer Art äußerer Erneuerung des Jakobsweges sein: weg von ungebremster Massenbewegung und gnadenlosem Pilgerkommerz, hin zum „Ich bin dann mal weg“ in elitärerer Form.
Eine göttliche Auszeit im Kloster St. Marienthal
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusehen, dass Rekorde vorerst nicht mehr fallen werden. Der Einbruch im Corona-Jahr 2020 mit 53.893 Pilgern im Vergleich zu 2019 mit 347.578 Ankömmlingen war dramatisch.
„Der Jakobsweg lebt“, hält Octavio González vom Spanischen Fremdenverkehrsamt in Frankfurt den widrigen Umständen entgegen, obgleich auch er weiß, dass die Zukunft in den Sternen steht. Da trifft es sich wenigstens gut, dass die Pilgerroute zum vermeintlichen Grab des Apostels Jakobus nach Santiago de Compostela auch als „Sternenweg“ bezeichnet wird.
Tipps und Informationen
Anreise: Lufthansa fliegt direkt von Frankfurt am Main oder München nach Bilbao, Eurowings von Düsseldorf aus ab März; vor Ort verkehren Linienbusse ins 160 Kilometer entfernte Pamplona an den Jakobsweg. Ab Santiago de Compostela gibt es vorläufig nur Umsteigeverbindungen zurück nach Deutschland.
Corona-Infos: Bis auf Weiteres herrscht eine Reisewarnung für Spanien. Flugreisende, die aus einem Risikogebiet kommen (Deutschland zählt dazu), müssen ein negatives PCR- oder TMA-Testergebnis mit sich führen, elektronisch oder in Papierform. Diese Verpflichtung gilt laut Auswärtigem Amt nicht bei der Einreise auf dem Landweg.
Pilgerausweise: „Echte“, unmotorisierte Pilger können bei Jakobusgesellschaften per Onlineformular einen Ausweis beantragen, der zur Benutzung der Herbergen berechtigt. Dazu zählen die Jakobusfreunde Paderborn (4,99 Euro plus Versand, jakobusfreunde-paderborn.com), die Deutsche St. Jakobus-Gesellschaft (erbetene Spende von zehn Euro, deutsche-jakobus-gesellschaft.de) und die Fränkische St. Jakobus-Gesellschaft (Pauschale 7,65 Euro, jakobus-franken.de).
Organisierte Reisen: Hauser Reisen: Acht Tage „Sagenhafter Jakobsweg“, geplant vom 26. Mai bis 2. Juni, ab 1598 Euro (hauser.reisen); Biblische Reisen: zwölf Tage „Der Jakobsweg – seine Spiritualität und seine Wirkung“, vom 15. bis 26. Juli, ab 2385 Euro, und 14. bis 25. Oktober, ab 2195 Euro (biblische-reisen.de); Wikinger Reisen: zwölf Tage „Der südliche Jakobsweg – von Sevilla nach Santiago“, etwa vom 9. bis 20. Mai und 23. Mai bis 3. Juni, ab 1868 Euro. Individuelle Arrangements ab sechs Übernachtungen ab 645 Euro (wikinger-reisen.de).
Auskunft: spain.info; jakobus-info.de; Pilgerbüro in Santiago (Spanisch/Englisch): oficinadelperegrino.com